Frau Loose, als Fachanwältin für Erbrecht haben Sie zahlreiche Beratungsgespräche zu Testamentsfragen geführt. Welches ist die häufigste Frage?
Im Grunde ist es eine Frage, die nicht mir gestellt wird, sondern eine Frage, die ich den Testierenden stelle, weil Sie von ganz grundlegender Bedeutung ist. Es ist die Frage danach, wer Erbe werden soll und wer etwas aus dem Nachlass erhalten soll, ohne Erbe zu werden. Gemeint ist der Unterschied zwischen Vererben und Vermachen. Vererben und Vermachen klingt ähnlich – ist aus juristischer Sicht aber etwas anderes. Beide Begriffe sind im Testament klar zu unterscheiden.
Und was ist der Unterschied zwischen „Vererben“ und „Vermachen“?
Wem etwas vererbt wird, der wird Erbe des Verstorbenen und übernimmt automatisch dessen gesamte Rechte und Pflichten. Der Erbe wird unmittelbar Eigentümer und Besitzer der gesamten Habe, Inhaber von Bankkonten, Schuldner aus Darlehensverträgen des Verstorbenen und so weiter. Außerdem hat ein Erbe nach dem Gesetz die Aufgabe, sich um die gesamte Abwicklung des Nachlasses zu kümmern, also um die Auflösung des Haushalts und von Verträgen des Verstorbenen sowie die Erfüllung von Vermächtnissen, Bankangelegenheiten und vieles mehr.
In der Praxis muss sich der Erbe also um alles kümmern, was ein Nachlass mit sich bringt?
Richtig.
Und das gilt bei einem Vermächtnis nicht?
Wer mit einem Vermächtnis begünstigt wurde, erhält einen Anspruch gegen den oder die Erben auf Übertragung eines bestimmten Gegenstandes aus dem Nachlass an ihn. Gegenstand eines Vermächtnisses können z.B.
ein Erinnerungsstück aus dem Nachlass des Verstorbenen, ein Geldbetrag oder z.B. auch eine Immobilie sein. Wer mit einem Vermächtnis begünstigt wurde, hat grundsätzlich keine weiteren Aufgaben und haftet – anders als ein Erbe – grundsätzlich nicht für die Schulden eines Nachlasses.
Bilden wir doch einmal ein Beispiel: Ich möchte meinen Nachlass auf 3 Personen und 2 Organisationen verteilen. Wie mache ich das? Vererbe oder vermache ich?
Zunächst einmal muss es immer mindestens einen Erben geben. Denn einer muss sich um alles kümmern und alle Rechte und Pflichten übernehmen.
Grundsätzlich möglich ist es, mehrere Miterben zu bestimmen, die dann eine sogenannte Erbengemeinschaft bilden. Eine Erbengemeinschaft ist für die Abwicklung und Verteilung des Nachlasses jedoch auf Mitwirkung und Konsens aller Miterben angewiesen und daher auch eher streitanfällig. In der Regel ist es einfacher, wenn die Abwicklung in den Händen von einer Person oder Organisation liegt, die dann Alleinerbe wird, jedoch nicht alles behält, sondern Teile des Nachlasses abgeben muss. Dieses „Abgebenmüssen“ nennt der Jurist Vermächtnis.
Damit die Verteilung des Nachlasses stimmig ist, auch wenn sich das eigene Vermögen noch einmal erheblich mehrt oder mindert, kann es sich anbieten, Vermächtnisse als Quoten zu formulieren, z.B. „Mein Neffe … erhält als Vermächtnis 15 % meines Bankvermögens“. Auch das ist möglich. Dann passt sich die Begünstigung automatisch an eine Mehrung oder Minderung des zu verteilenden Vermögens an.
Wie können gemeinnützige Organisationen in einem Testament bedacht werden? Sicherlich mit einem Vermächtnis. Aber können gemeinnützige Organisationen auch als Erben eingesetzt werden und sich dann um die gesamte Abwicklung eines Nachlasses kümmern?
Viele gemeinnützige Organisationen können zuverlässig, respektvoll und nachhaltig einen Nachlass abwickeln und verfügen hierfür über ein entsprechendes Netzwerk und Kompetenzen. Die Möglichkeiten und Grenzen gemeinnütziger Organisationen sind unterschiedlich und auch Anwälten und Notaren nicht ohne weiteres bekannt. Wer eine gemeinnützige Organisation zu seinem Erben machen möchte, sollte sich unbedingt vorab mit der jeweiligen Organisation abstimmen - insbesondere auch zu individuellen Wünschen und Vorstellungen.
Wer nach entsprechender Rücksprache eine gemeinnützige Organisation in seinem Testament als Erben einsetzt und auf diese Weise mit der Abwicklung seines Nachlasses betraut, braucht keinen Testaments-
vollstrecker, dessen Tätigkeit nach dem Gesetz mit Kosten verbunden ist. Ein ausreichend kompetenter Erbe macht einen Testamentsvollstrecker entbehrlich.
Können Sie zusammenfassen, auf was beim „Vererben“ und „Vermachen“ zu achten ist?
Vererben und Vermachen ist nicht das Gleiche. Wichtig ist, dass in einem Testament klar zum Ausdruck kommt, wer sich um die Abwicklung des Nachlasses kümmern soll. Das ist grundsätzlich der Erbe.
Werden die Begriffe „Vererben“ und „Vermachen“ in einem Testament nichtzutreffend verwendet, kann es zu ungewollten Ergebnissen bei der Verteilung des Nachlasses und Verzögerung bei der Nachlassabwicklung kommen.