„Barrieren sind hindernd, Grenzen verhindern“

Digitaler Fachtag zum Thema „Ableismus in der Kinder- und Jugendhospizarbeit“

„Der Begriff Ableismus oder Ableism stammt aus der amerikanischen Behindertenbewegung und geht weiter über klassische Behindertenfeindlichkeit hinaus“: Victoria Michel, eine junge Frau mit lebensverkürzender Erkrankung, startete mit einer kurzen Begriffsbestimmung in den Fachtag „DKHV e.V. digital: Ableismus in der Kinder- und Jugendhospizarbeit!?“. Knapp 100 hauptamtlich Mitarbeitende der Kinder- und Jugendhospizarbeit aus dem gesamten Bundesgebiet nahmen am 23.03.2023 an dem prominent besetzten digitalen Austausch mit Podiumsdiskussion teil, der von den jungen Menschen mit lebensverkürzender Erkrankung und ihrem Ansprechpartner beim Deutschen Kinderhospizverein (DKHV e.V.), Kevin Leinbach, vorbereitet wurde.

„Das Thema ,Ableismus‘ wurde von den jungen Menschen selbst in unsere Selbsthilfeklausur im vergangenen Jahr in Witten eingebracht“, erläuterte Kevin Leinbach. Bereits in der Einführungsrunde wird schnell deutlich: Kaum ein Thema ist so präsent bei den jungen Menschen mit lebensverkürzender Erkrankung. Ein alltägliches Beispiel beschrieb Egzon Osmani, erkrankt an spinaler Muskelatrophie: „Ich war mit einer guten Freundin in Bonn am Rhein, wir chillten und quatschten – was man halt so macht“, berichtete er. „Es dauerte nicht lange, da kam ein Typ, der ebenfalls mit einigen Freunden da war, zu uns und sagte zu meiner Freundin: ,Voll gut, dass du mit dem abhängst. Respekt an dich.‘ Wir waren kurz sprachlos und sind nicht weiter darauf eingegangen“. „Ableismus“ betrifft aber nicht nur das Verhalten, sondern auch bauliche Barrieren, wie Treppen oder hohe Regale in Supermärkten, erläuterte Egzon. „Unserem neuen Format liegt die Frage zugrunde: Wie kann es gelingen, das Thema in die bundesweite Diskussion zu bringen?“, ergänzte Regina Wagner, Leitung „Inhalte und Entwicklung“ beim DKHV e.V..  

Das Hauptaugenmerk am Vormittag lag auf der Podiumsdiskussion mit Inklusionsaktivist und Bestseller-Autor Raul Krauthausen, Poetry-Slammerin und Speakerin Sabrina Lorenz („Fragments of_living“), Selbstvertreterin Gloria Garrels, Christine Wagner-Behrendt (Mutter von Jascha; IntensivLeben Kassel e.V.) und DKHV-Geschäftsführer Marcel Globisch. „Ich bin behindert und dass das Teil meiner Identität ist, definiere ich ganz allein. Strukturen behindern, Barrieren sind hindernd, Grenzen verhindern. Doch, dass ich eine Behinderung habe, das wird immer so sein“: Sabrina Lorenz, geboren mit einem Herzfehler und chronischer Erkrankung, hatte eigens für den digitalen Fachtag einen bewegenden Poetry-Slam geschrieben, mit dem in die Diskussionsrunde gestartet wurde. „Ableismus in a Nutshell – es gibt ihn in so vielen Formen, aber Feindlichkeit passt gut“, schloss Raúl Krauthausen an. „Dabei nimmt man sich als Behinderter gar nicht aus: Viele machen zum Beispiel Witze über die eigene Behinderung, um zu zeigen: ,Ach, der nimmt das ja gar nicht so schwer‘ und so dafür zu sorgen, dass sich das Gegenüber nicht unwohl fühlt. Auch das ist Ableismus.“ Vorurteile seien ein weites Themenfeld. Christine Wagner-Behrendt, deren Sohn Jascha mit den Augen kommuniziert, nannte hier als Beispiel: „Wer nicht sprechen kann, kann auch nicht denken!“ Lebensqualität und deren Definition, eigene Erfahrungen, Schubladendenken und das Hinterfragen des eigenen Denkens – auch in der Kinder- und Jugendhospizarbeit – Scheitern und Grenzen erkennen, das Machtverhältnis von Erkrankten und Pflegenden sowie eigene Unsicherheiten auszuhalten waren weitere Themen, die diskutiert wurden. Besondere Gedankenimpulse und Erfahrungen wurden geteilt: „Als Kind sollte ich oft mit anderen behinderten Kindern spielen, darauf hatte ich aber überhaupt keine Lust: Denn eine Behinderung allein reicht doch nicht aus, eine Freundschaft zu schließen“, erzählte Krauthausen. „Ich bin ja auch nicht mit jemandem befreundet, nur weil wir beide braune Haare haben“. Unterschätzt sahen die Podiumsteilnehmer auch die „Power of disability“ (Macht der Behinderung): „Kaum jemand ist so einfallsreich und kreativ, wie wir. Schließlich muss man sich leider ständig was einfallen lassen, um im Alltag zurecht zu kommen“, sagte der Inklusionsaktivist.

Der zweite Teil des Fachtages am Nachmittag stand dann ganz im Zeichen des „Ableismus in der Kinder- und Jugendhospizarbeit“. In kleinen Arbeitsgruppen stellten sich die Teilnehmenden Fragen wie: „Wo ist Euch/Ihnen Ableismus im Arbeitskontext begegnet?“ oder „Was bedeutet das für die Begegnung mit jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhospizarbeit? Worauf gilt es zu achten?“.

DKHV-Geschäftsführer Marcel Globisch unterstrich abschließend, dass der Fachtag, der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde, erst ein Startschuss sei, um weitere Angebote zu schaffen und das Thema „Ableismus“ in die politische Arbeit einfließen zu lassen sowie dafür zu sorgen, „dass das Thema Ableismus nicht nur auf dem Papier stattfindet, sondern es endlich einen Weg in das Bewusstsein der Gesellschaft findet“.

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