Kantorin Ejnat (Annette) Willing und Uwe Cornelius Lengen gaben einen tiefen Einblick in die Geschichte des Gebäudes und in das Leben und die religiösen Riten ihrer kleinen Gemeinschaft, die derzeit aus 20 Familien besteht.
„Wir sind eine offene, egalitäre Gemeinde“, betonte Ejnat Willing. Frauen und Männer seien in jeder Beziehung gleichberechtigt, auch Frauen seien nach entsprechender Ausbildung zur Schriftlesung zugelassen und könnten die Gebete anleiten. Zur Offenheit gehöre auch der interreligiöse Austausch mit Muslimen und Christen, erklärte Ejnat Willing.
Aus der Gruppe des AKHD gab es viele Fragen, etwa nach der Aufnahme in die jüdische Gemeinschaft, der Trauer- und Bestattungskultur und der Kippa. Wenn die Mutter jüdisch ist, sind es die Kinder automatisch auch, wenn der Vater jüdisch ist, müssen die Kinder erst ein Aufnahmeprocedere durchlaufen, erklärte die Kantorin. Wer völlig ohne jüdischen Hintergrund ist, müsse sich umfangreich auf den Übertritt zum Judentum vorbereiten und die Beweggründe für sich und vor der Gemeinde klären.
In der jüdischen Begräbniskultur gehöre es zur Pflicht der Gemeinde, den Verstorbenen möglichst schnell und soll vollständig wie möglich in den Schöpfungskreislauf zurückzubringen. Deshalb werde der Tote innerhalb kurzer Zeit beerdigt.
Die leibliche Auferstehung sei kein Glaubenssatz, sagte Ejnat Willing. Das Judentum lege sich nicht fest, was in der jenseitigen Welt passiere. Das Leben im Hier und Jetzt stünden im Vordergrund. Die Kippa kann auch von verheirateten Frauen getragen werden. Das Tragen dieser Kopfbedeckung sei eher eine Tradition als ein Gebot.
Zum Ende des Besuchs öffnete Ejnat Willing den schönen neuen Tora-Schrein und erläuterte anhand einer 150 Jahre alten Tora die Schriftlesung. Über einen Zeitraum von einem Jahr werden die fünf Bücher Mose - in Abschnitte geteilt - wöchentlich in der Synagoge gelesen.
Auffällig in der Felsberger Synagoge ist auch der blaue Sternenhimmel an der Decke mit einer beleuchteten Sonnenscheibe. Sie symbolisiert, dass die Menschen zwischen Himmel und Erde stehen und die Menschen im Diesseits Raum und Zeit haben, um daraus das Beste zu machen.
Schon von außen beeindruckt die Synagoge, die 1847 im neuromanischen Stil erbaut wurde. Sie wurde wie andere Synagogen von den Nationalsozialisten geschändet, aber glücklicherweise nicht angezündet. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gebäude zweckentfremdet und vorübergehend sogar als Gaststätte genutzt.
Uwe Cornelius Lengen gab den Anstoß, das Bethaus wieder nach seiner traditionellen Bestimmung zu nutzen. 2013 gründete er gemeinsam mit dem Ehepaar Annette und Christopher Willing einen Verein zur Rettung der Synagoge.
Architekt Christopher Willing entwickelte die Pläne, und mit Hilfe von Zuschüssen und Spenden gelang es, der Synagoge wieder zu früherem Glanz zu verhelfen. Die Kosten betrugen 1,3 Millionen Euro. Im November 2022 wurde die Synagoge feierlich wieder eingeweiht.
Zur gegenwärtigen Realität gehören aber auch Überwachungskameras und eine Sicherheitsschleuse durch die Besucher eingelassen werden. Mit Polizei und Staatsschutz steht die Gemeinde in Kontakt, vor allem bei Veranstaltungen. Übergriffe hat es bisher nicht gegeben.